Du denkst also darüber nach, zu einem neuen Unternehmen zu wechseln, aber eine Sache hält dich davon ab: wie verhandelst du dein Gehalt? Keine Panik! Wir haben führende Expert*innen in diesem Bereich gebeten, uns dabei zu helfen, einen praktischen und umsetzbaren Leitfaden zusammenzustellen, der erläutert, wie du vorgehen solltest...beziehungsweise wie du nicht vorgehen solltest. Nach dem Lesen dieses Artikels weißt du, wie du die häufigsten Fehler bei einer Gehaltsverhandlung vermeidest!

Fehler 1: Anzunehmen, dass Personalverantwortliche über unbegrenzte Flexibilität verfügen

Die Einstellung von Mitarbeiterinnen muss auf Gegenseitigkeit beruhen: Kandidatinnen und Unternehmen müssen ein gegenseitiges Interesse aneinander teilen. Wenn du darüber nachdenkst, ergibt das Sinn: die Voraussetzung für jede Verhandlung ist ein gemeinsames Verständnis der Bedürfnisse und Beschränkungen jeder Verhandlungsseite.

Das bedeutet, dass du dir als Kandidat*in der Situation des Unternehmens und der Personalverantwortlichen bewusst sein solltest. In der Tat findet eine Einstellung allgemein im Rahmen eines Einstellungsplans statt, der von der Unternehmensleitung lange im Voraus festgelegt wird.

Dieser Plan legt fest, wieviele Stellen verfügbar sind, über welchen Zeitraum (Quartal, Semester, Jahr), wieviel Erfahrung erwartet wird und wie die Gehaltsspanne aussieht.

“Das ist nicht einfach eine Frage des Budgets. Es geht auch um Fairness gegenüber den anderen Mitarbeiterinnen”*, erklärt Anne-Laure Kauffmann, HR & Tech Recruiterin bei Mirakl, ein Einhorn, das Marktplatz-Lösungen anbietet.

Mit anderen Worten: die Weichen sind in der Regel schon gestellt, bevor der Einstellungsprozess überhaupt beginnt!

Aber sie fügt hinzu: “es gibt immer etwa 10% Spielraum, abhängig von der Leistung in den Vorstellungsgesprächen und technischen Tests.”

Das hängt natürlich von dem Unternehmen ab. Bei Algolia zum Beispiel - ein Einhorn, das Suchmaschinen für Unternehmen entwickelt - waren alle Angebote verbindlich! “Und wir blieben standhaft. Das hat manchmal gegen uns gesprochen, aber letztlich verhindert es ein Ungleichgewicht allein aufgrund der Verhandlungsfähigkeiten der Leute”, sagt Sylvain Utard, ehemaliger VP of Engineering und AI General Manager bei Algolia.

Das mag nicht so aufregend klingen wie die epischen Machtkämpfe in Filmszenen aus Hollywood...aber leider ist das wahre Leben selten so glamourös wie in Filmen.

✍️ Denk daran: Der Verhandlungsumfang ist in der Regel im Vornherein begrenzt. Grund dafür ist vor allem, eine faire Bezahlung sicherzustellen.

Fehler 2: Zu denken, dass die Anwerbung durch einen Headhunter dir mehr Raum bei Verhandlungen gibt

Trotz allem, was du vielleicht gehört hast, bedeutet die Anwerbung durch eine(n) Headhunter*in nicht, dass du im Vorteil bist, wenn du dich auf den Job bewirbst - siehe die oben genannten Gründe.

“In der Minute, in der eine Person auf die Anwerbungsversuche reagiert und bereit ist, am Einstellungsprozess teilzunehmen, ist sie den regulären Kandidatinnen gleichgestellt,* sagt Anne-Laure Kauffman. “Der Unterschied liegt nicht so sehr in den Gehaltsverhandlungen, sondern in unserer Fähigkeit, sie davon zu überzeugen, bei uns anzufangen.”

✍️ Denk daran: Eine durch eine(n) Headhunterin angeworbene Person ist nur ein(e) weitere(r) Kandidatin.

Fehler 3: Bis zur letzten Minute warten, um dein Gehalt anzusprechen

Eine offensichtliche Konsequenz aus dem, was wir gerade gesehen haben, ist, dass du nicht bis zum Ende des Einstellungsprozesses warten solltest, um dein Gehalt anzusprechen! Wenn sich herausstellt, dass die Gehaltsspanne des Unternehmens nicht deinen Erwartungen entspricht, verschwendet jeder seine Zeit - auch du.

Du solltest das Gehalt während deiner ersten Unterhaltung mit dem Unternehmen ansprechen. Das Gehalt sollte aber nicht der erste Gesprächspunkt sein...”Du möchtest zeigen, dass es dir in erster Linie um die Stelle und nicht um das Gehalt geht”, sagt Sylvain Utard, aktueller Head of Engineering bei Sorare, dem beliebten Fantasy-Fußballspiel, das auf NFT-Karten basiert. “Wenn ich Leute auf Linkedin kontaktiere, ist die erste Frage von manchen, ‘Wie viel verdiene ich?’ Ich finde das ein bisschen zu direkt und nicht besonders sympathisch”, sagt Anne-Laure Kauffmann.

Kauffmann, die über fast zehn Jahre Erfahrung im Personalbereich verfügt, sagt, dass sie das Thema immer spontan während der letzten Frage des dreißigminütigen Eignungsgesprächs anspricht.

"Wenn der Kandidat oder die Kandidatin merkt, dass die Frage nicht thematisiert wird, müssen sie einen Weg finden, sie behutsam anzusprechen.”

— Anne-Laure Kauffmann (Mirakl)

Es ist eine Win-Win-Situation: der/die Kandidatin endet nicht in einem langen und mühsamen Einstellungsprozess, wenn der Job ihm oder ihr nicht zusagt; und das Unternehmen vermeidet die Enttäuschung, wenn es merkt, dass sie sich den/die Kandidatin nicht leisten können, den/die sie einstellen möchten.

“Nachdem die ersten Schritte mit den Personalverantwortlichen abgeschlossen sind, sollten die Erwartungen auf beiden Seiten angeglichen werden. Es ist besser, den Prozess zu beenden, wenn deutlich wird, dass es nicht funktioniert”, fügt Sylvain Utard, der in den letzten acht Jahren bei Algolia über 150 Ingenieur*innen eingestellt hat.

Wichtig zu erwähnen: Wenn ein(e) Personalverantwortlicher mit mehreren Bewerberinnen zu tun hat, die über dem Budget liegen, könnte er/sie dies als Zeichen dafür werten, dass er/sie sich von den Realitäten des Marktes entfernt hat, und dass das Stellenangebot oder das Gehalt überdacht werden sollte!

✍️ Denk daran: es ist nicht verwerflich, während des ersten Gesprächs mit einem/einer potentiellen Arbeitgeber*in über die Bezahlung zu sprechen. Ganz im Gegenteil: beide Seiten profitieren davon.

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Fehler 4: Dich nur auf dein Gehalt zu konzentrieren statt auf dein Vergütungspaket

Nicht allein das Gehalt ist wichtig. Es gibt auch Aktien, Boni, Variablen, Leistungen wie Kinderbetreuung und Essensgutscheine, etc. (Lies unseren Artikel “Dein Vergütungspaket verstehen”). “Es ist ein bisschen wie beim Crosstrainer im Fitnessstudio: wenn du nur ein Bein bewegst, kommst du nicht sehr weit. Aber wenn du deine Arme und Beine bewegst, werden die Dinge flüssiger”, sagt Fotini Iconomopoulos, ein Verhandlungscoach für Senior Executives, die ein Buch zu dem Thema geschrieben hat (Say Less Get More).

Welche anderen Hebel stehen dir neben dem Gehalt zur Verfügung? Denk zunächst an all die Dinge, die das Unternehmen dir bieten kann, die letztlich zu mehr Geld in deiner Tasche führen. Das können grundlegende Dinge wie ein Smartphone, Internet oder die Übernahme von Reiserechnungen sein.

Hier eine weitere Möglichkeit, die es zu berücksichtigen gilt: Als Kompromiss und als Zeichen des guten Willens hat Algolia manchmal automatische Boni von einigen tausend Euro nach sechs Monaten oder einem Jahr Unternehmenszugehörigkeit angeboten.

Aktienpakete sind in der Tech-Branche ebenfalls zum Standard geworden, besonders in Start-Ups und Scale-Ups

“Es ergibt keinen Sinn, die Anzahl der Aktien oder den Prozentsatz des erworbenen Kapitals zwischen verschiedenen Unternehmen zu vergleichen. Das Wichtigste ist der Kaufpreis und das Wachstumspotenzial des Unternehmens".

— Sylvain Utard (Sorare)

“Kein Thema ist tabu”, erklärt Anne-Laure Kauffmann. “Du musst einfach die für dich wichtigsten Punkte so deutlich und früh wie möglich ansprechen.” Sie nennt das Beispiel einer Person, die im vorherigen Unternehmen neun Wochen bezahlten Urlaub hatte, aber erst am Ende des Einstellungsprozess daran dachte, dies zu erwähnen!

Aus demselben Grund empfiehlt Deepak Malhotra - Professor in Harvard mit dem Schwerpunkt Verhandlungen - in diesem Artikel, alle Punkte gleichzeitig zu verhandeln und nicht einen nach dem anderen. Er sagt: “wenn du anfangs nur um eine Sache bittest, könnte der/die Arbeitgeberin denken, dass du das Angebot annehmen wirst, wenn dir dieser Punkt erfüllt wird.*

Denk daran: Gehalt ist nur ein Aspekt der Vergütung.

Fehler 5: Unvorbereitet erscheinen

Es gibt die vorgefasste Meinung, dass man sehr instinktiv sein und hervorragend improvisieren muss, um gut verhandeln zu können. Aber in Wirklichkeit solltest du vorbereitet sein, um die besten Chancen zu haben.

Kennen den Markt und deinen Wert

Dazu gehört ein bisschen mehr, als ein oder zwei Bekannte kurz um Rat zu fragen. “Es gibt einen Trend, dass Junior-Kandidatinnen um exorbitante Gehälter bitten und sich mit nur einem Jahr Erfahrung als Senior bezeichnen”*, sagt Anne-Laure Kauffmann mit einem Lächeln. Hier erklären wir, wie du deinen Marktwert im Detail bewerten kannst.

Sei in der Lage, deine Forderungen zu begründen

Kauffmann empfiehlt darüber hinaus, sich mit dir selbst auseinanderzusetzen, um herauszufinden, was du möchtest...und wieso du es möchtest! Ein Jobwechsel allein rechtfertigt keine Gehaltserhöhung. Es ist deutlich überzeugender zu zeigen, dass du dir deines Marktwertes und deiner eignen persönlichen Verpflichtungen bewusst bist (Kredit zurückzahlen, Kinder unterstützen, etc.)

“Wenn du das Gespräch auf Fakten stützt, beweist du deine Legitimität, und es wird schwieriger, dir zu widersprechen.”

Fotini Iconomopoulos

Übe vor dem Spiegel

Fotini Iconomopoulos, dessen Vater ihr den Spitznamen "The Negotiator" als Kind gab, hat einen weiteren sehr einfachen, aber effektiven Tipp: übe die Worte, die du sagen möchtest.

Halte dich nicht zurück, wenn du vor dem Spiegel übst! “Das Gedächtnis ist wie ein Muskel. Wenn deine Zunge und dein Munde Worte zum ersten Mal aussprechen, ist die Chance groß, - in Anbetracht dessen, wie stressig diese Situationen sein können - dass du nicht genau das sagst, was du beabsichtigst hast”, gibt Iconomopoulos zu denken.

Bereite dich auf schwierige Fragen vor

Zuletzt schlägt Deepak Malhotra vor, deine Antworten auf häufig gestellte, aber schwierige Fragen zu üben. Beispielsweise: Haben Sie andere Angebote erhalten? Wenn wir Ihnen den Job morgen anböten, würden Sie ihn dann annehmen? Sind wir Ihre erste Wahl? Falsche Antworten können dir hier teuer zu stehen kommen...

✍️ Denk daran: Verhandeln ist eine Fähigkeit, die Vorbereitung und Übung erfordert.

Fehler 6: Nicht zu wissen, wann du den Mund halten solltest

Kommen wir zu Verhandlungstechniken. Fotini Iconomopoulos hat ihr Buch “Say Less, Get More” genannt, weil sie mehr denn je glaubt, dass Reden Silber, aber Schweigen Gold ist.

Einerseits tendieren Leute in stressigen Situationen, in denen viel auf dem Spiel steht, dazu, Lücken mit überflüssigen Wörtern wie “Ich glaube”, “vielleicht”, etc. zu füllen.

"Andererseits hast du vielleicht den Eindruck, dass du dein Hauptanliegen in zusätzliche Aussagen verpacken musst, um es schmackhafter zu machen. Aber das ist nicht wahr: es ist besser, sich kurz und bündig zu fassen, durchzuatmen und dann ruhig zu sein! Fürchte dich nicht vor der Stille. Wir unterschätzen oft, wie glaubwürdiger wir auf diese Weise auftreten”, rät der Coach.

✍️ Denk daran: es ist besser, gar nichts zu sagen, als später zu bereuen, zu viel gesagt zu haben.

Fehler 7: dein aktuelles Gehalt offenzulegen

Wusstest du, dass es in New York und Kalifornien (und einigen anderen amerikanischen Bundesstaaten) illegal ist, den Kandidaten oder die Kandidatin nach dem aktuellen Gehalt zu fragen? Das Gesetz wurde eingeführt, um Lohndiskriminierung und besonders das Lohngefälle zwischen den Geschlechtern zu bekämpfen.

In Europa verhält es sich anders. Aber das bedeutet nicht, dass du dein Gehalt während des Einstellungsprozesses nennen musst. Konzentriere dich lieber auf dein angestrebtes Gehalt - in anderen Worten: auf deine Forderungen. Wieso? Wegen des Ankereffekts, einer Art kognitiver Verzerrung, die die endgültige Entscheidung beeinflusst. Denn Menschen verleihen der ersten Information, die sie erhalten, übermäßiges Gewicht.

Laut Fotini Iconomopoulos ist das auch der Grund, warum du der oder die Erste sein solltest, der/die die Bezahlung anspricht. “Ansonsten überlässt du es dem Unternehmen, den Anker zu setzen. Und die Sache bei einem Anker ist, dass man ihn nicht mehr wirklich bewegen kann, sobald er gesetzt wurde. Natürlich gibt es bereits bestehende Gehaltsraster, aber dies ist eine Möglichkeit, sich an die Spitze des Spektrums zu setzen.”

Natürlich kann diese Technik nur funktionieren, wenn du deine Marktforschung betrieben hast und glaubwürdige Zahlen vorlegen kannst!

Wenn du deine Erwartungen niedrig ansetzt, kann es sein, dass das Unternehmen dir immer noch ein höheres Angebot unterbreitet, um gleiche Bezahlung zu gewährleisten. “Wir haben kein Interesse daran, dass jemand Monate später merkt, dass er im Gegensatz zu seinen Kolleg*innen unterbezahlt wird”, versichert Anne-Laure Kauffmann.

✍️ Denk daran: Dein aktuelles Gehalt ist nicht wichtig. In einer Verhandlung ist wichtig, was du möchtest und was du wert bist.

Fehler 8: Sich allein auf die Verhandlung deiner Vergütung fokussieren

Es gibt Wichtigeres als die Vergütung. Natürlich möchten wir dich nicht davon abhalten, das bestmögliche Angebot zu bekommen (anderenfalls hätten wir nicht diesen Artikel geschrieben). Aber du solltest auch andere Jobaspekte berücksichtigen, die einen echten, wenn auch nicht greifbaren Wert darstellen

“Am wichtigsten ist deine Rolle im Unternehmen, sowie deine Lern- und Entwicklungsperspektiven.”

— Christian Jennewein (ehemals BlaBlaCar and Deezer)

Anders ausgedrückt: du solltest kurzfristige Aspekte (Vergütung) gegen mittlere oder langfristige Aspekte (deine Karrieremöglichkeiten) abwägen.

"Deine tägliche Arbeit, das Maß an Verantwortung, die Herausforderungen, denen du dich stellen musst, die Technologie, die du lernen wirst, das internationale Team, die intellektuellen Anregungen, die du vom Management erhältst, die Qualität deiner Arbeitsbedingungen... All diese Elemente können deinen Wert steigern!”, fügt Christian Jennewein, Gründer von Ciklet hinzu.

“Vor allem seit ich großen Wert auf den Werdegang der Person lege und die Art und Weise, wie sie ihre Karriere aufgebaut haben”, betont Sylvain Utard.

✍️ Denk daran: Ein schlechter bezahlter Job zahlt sich manchmal auf lange Sicht aus

In aller Kürze: 8 wichtige Punkte

  1. Der Verhandlungsspielraum ist in der Regel im Vornherein begrenzt. Grund dafür ist vor allem, eine faire Bezahlung der Mitarbeiter*innen zu gewährleisten.
  2. Jemand, der durch einen Headhunter oder eine Headhunterin angeworben wurde, ist nur ein(e) weitere Kandidat*in.
  3. Es ist nichts falsch daran, während deiner ersten Unterhaltung mit einem/einer potentiellen Arbeitgeber*in über die Bezahlung zu sprechen. Ganz im Gegenteil: jeder profitiert davon.
  4. Das Gehalt ist nur ein Aspekt der Vergütung.
  5. Verhandlung ist eine Fähigkeit, die Vorbereitung und Übung erfordert.
  6. Es ist besser, gar nichts zu sagen, als zu bereuen, zu viel gesagt zu haben.
  7. Dein aktuelles Gehalt ist nicht wichtig. In einer Verhandlung ist wichtig, was du möchtest und was du wert bist.
  8. Ein schlechter bezahlter Job zahlt sich manchmal auf lange Sicht aus.

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